von Dr. med. Konstantin Wagner
12.02.2019
Die Zaubermilch
Es ist doch faszinierend, dass ein kleiner Mensch in all seiner Komplexität und mit all den Bedürfnissen und dieser unglaublich kurzen Entwicklungsspanne nichts weiter benötigt als... Muttermilch.
Oh, es ist anfangs ein Kampf und ein Krampf. Viele Frauen weinen, sind verzweifelt, sind erschöpft, bekommen Wut auf dieses kleine Wesen, was es einfach nicht auf die Kette bekommt zu trinken, was nachts ständig an die, bis dahin fast unberührten Brüste möchte. Eure Brüste! Sie gehören dir, nicht dem Mann, nicht dem Kind... oder doch?! Bin ich eine schlechte Mutter, weil ich einen Hals auf mein Kind schiebe, das ständig an meine Brust möchte? Und warum fühlst du dich von einem Tag auf den anderen auf einmal wie eine Kuh. Ohne eigenen Willen. Fremdbestimmt. Geboren um zu säugen.
Was kann man dieses Thema nicht auch verfluchen.
Und dann, nach viel Mühe, Tränen, Schweiß und Blut klappt es. Man fängt sogar an es zu genießen. Ihr habt gekämpft, durchgehalten und werdet belohnt. Es entsteht diese unglaubliche Bindung zwischen Mutter und Kind, die man als außenstehender Zuschauer beinahe körperlich spüren kann.
Stillen und Muttermilch werden oft derart unterschätzt. Also wirklich unterschätzt. Nicht aufgrund von unbeteiligter Ignoranz, sondern weil viele schlicht nicht wissen was Muttermilch eigentlich ist, was sie kann und warum sie seit Millionen Jahren funktioniert.
Schauen wir uns das Thema mit ein bisschen Abstand und ohne die ganze Emotionalität an.
Schieben wir mal all die unzähligen positiven Geschichten, Theorien und Meinungen, welche nicht durch Studien offiziell belegt wurden, beiseite. Auch die „nebensächlichen praktikablen Vorteile“ wie „habe ich immer dabei“, „ist kostenlos“, „immer perfekt temperiert“, liegen natürlich auf der Hand, möchte ich aber auch einfach mal frech ignorieren.
Ich zähle nur mal die wichtigsten und medizinisch belegten, durch Studien verifizierten, nackten Fakten auf den Tisch, welche für mindestens 5 Monate vollgestillte Kinder belegt wurden:
- Gestillte Kinder erleiden seltener einen plötzlichen Kindstod.
- Gestillte Kinder zeigen weniger Lernschwierigkeiten
- Das Wachstum der weißen Gehirnsubstanz ist bei den gestillten Kindern um 20 bis 30 Prozent größer als bei den nicht gestillten Kindern.
- Stillen beugt Allergien vor. Nebenfact: Allergien und Asthma neben in unserer Gesellschaft durch die menschliche Belastung exponentiell zu.
- Gestillte Kinder haben ein geringeres Risiko in ihrem Leben übergewichtig zu werden, einen Herzinfarkt zu erleiden oder andere Herz-Kreislauferkrankungen, wie z.B. hohen Blutdruck zu bekommen. Sie erkranken seltener an Diabetes mellitus.
Und für mich persönlich der wichtigste Fakt:
- „Nestschutz“. Das Immunsystem eines Neugeborenen ist noch völlig jungfräulich. Erst der Kontakt zur Außenwelt stärkt dessen Abwehrkraft. Und das nicht von heute auf morgen, sondern erst über Monate. Jetzt kommt das geniale der Natur. Muttermilch enthält Antikörper, also Abwehrkräfte von all denn alten und neu durchgemachten Infektionen der Mutter. Die Mutter hat also über all die Jahre Kontakt zu Erregern gehabt und gegen diese Erreger Antikörper gebastelt, sodass sie durch diese Erreger nicht mehr krank werden kann. Und diese bunte Mischung Antikörper gibt sie dem Kind ab und schützt es ebenfalls. Über die Muttermilch.
Aber wer wird gleich nur an das Kind denken? Es folgen die wichtigsten Vorteile für die Mutter:
- Stressresistenz (und was hat man die anfangs nötig, oder? Stillen führt zur Ausschüttung von Prolaktin, welches unter anderem die Stressresistenz fördert.
- Oxytocin wird ebenfalls beim Stillen ausgeschüttet und sorgt dafür, dass die Gebärmutter sich zusammenzieht. Der damit verbundene Druck auf die Gefäße führt zu Blutstillung, Abstoßung von Wundsekreten aus der Gebärmutter sowie deren Rückbildung. Gleichzeitig wird Blutarmut und Eisenmangel vorgebeugt. Darüber hinaus verringert Oxytocin die Ausschüttung von Stresshormonen bei Mutter und Kind und fördert die Bindung zwischen beiden („Bindungshormon").
- Stillen senkt das Risiko der Mutter für Brust- und Eierstockkrebs sowie für Osteoporoseerkrankungen.
- Stillen senkt das Risiko der Mutter für Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes Typ II und Übergewicht.Stillen senkt das mütterliche Endometriose-Risiko
Dies sind nur wenige Punkte, die man heutzutage in Studien belegt hat und reproduzieren kann. Dies sind die Punkte, die ich persönlich am beeindruckendsten halte. Befasst man sich mehr mit diesem Thema wird einem die Komplexität erst wahrhaft bewusst.
Abschließend muss man sich eines vor Augen halten:
All die zur Verfügung stehende Technologie, all die biochemischen Untersuchungen, all die zu synthetisierende Nahrungsergänzung mit all der Industrie hat es bei weitem nicht geschafft auch nur annähernd an die Millionen Jahre alte Rezeptur und die Vorteile der Muttermilch heranzukommen. Und oben genannte Punkte sind ja schön und gut, aber wir haben bei weitem noch nicht alles verstanden, sind weit weg davon die Rezeptur zu verstehen.
Stillen ist mehr als nur Nahrungsaufnahme für das Kind und die Mutter.
Abschließend möchte ich sagen: auch nicht gestillte Kinder wachsen und gedeihen hervorragend, werden tolle, intelligente Menschen. Auch Mütter, welche nicht stillen haben eine unglaublich intensive Bindung zu ihren Kindern. Natürlich ist das so und dies bestreitet auch gar niemand. Ich möchte in diesem Artikel nicht das nicht Genannte negativ darstellen, sondern das Genannte positiv unterstreichen. Dennoch gibt es nicht zu vernachlässigende und nicht wegzudiskutierende Vorteile des Stillens und der Muttermilch auf die ich aufmerksam machen möchte.
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Dr. med. Konstantin Wagner
Hallo, ich heiße Konstantin und bin Facharzt für Gynäkologie und Geburtsmedizin. Nach meinem Medizinstudium in München habe ich von 2015 bis 2020 in einer maximalversorgenden Klinik in Kassel gearbeitet. Dort hatte ich es mit unzähligen spannenden Fällen zu tun, betreute hunderte Geburten und sammelte einen großen medizinischen Erfahrungsschatz. Seit 2020 widme ich mich der niedergelassenen Tätigkeit in meiner eigenen gynäkologischen Praxis in Kassel.
Im Kontakt mit meinen Patientinnen wurde mir bewusst, wie schwer es medizinischen Laien oft fällt, echte Fachinformationen von Mythen und Internet-Panikmache zu unterscheiden. Ich habe es mir daher zur Aufgabe gemacht, fundiertes Wissen zu meinen Fachgebieten zur Verfügung zu stellen – in verschiedensten Formaten sowie auf nachvollziehbare und kurzweilige Weise.
Ich lebe mit meiner Frau und meinen zwei Töchtern in Nordhessen.
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